Peutinger

Digitalstandort Bayern – Chance und Herausforderung

21.11.2019

Nachlese zu einem Vortrag von

Staatsministerin Judith Gerlach, Bayerische Staatsministerin für Digitales

Prof. Dr. Claudia Linnhoff-Popien, Lehrstuhl für Mobile und Verteilte Systeme Leiterin „Innovationszentrum Mobiles Internet“ des ZD.B
Vorstandsvorsitzende „Digitale Stadt München e.V.“

Christian Geissler als Gastgeber und Moderator am 08.10.2019 in München

Zu einer besonderen Veranstaltung heisst Christian Geissler, Präsident des Peutinger-Collegiums, rund 100 Gäste im Westin Grand München willkommen. An diesem Abend gibt es gleich zwei Vorträge: Mit Staatsministerin Judith Gerlach, MdL (re.) und Prof. Dr. Claudia Linnhoff-Popien (li.) sprechen zwei hochkarätige Referentinnen.

Staatsministerin Judith Gerlach schildert zunächst, wie Ministerpräsident Dr. Markus Söder das Ministerium im Zuge der Regierungsbildung im November 2018 gegründet hat, um den digitalen Wandel mitzugestalten. Das bayerische Staatsministerium für Digitales ist das erste seiner Art in Deutschland. „Wir sind so etwas wie der Think-Tank im Kabinett“, erläutert die Ministerin. „Wir entwickeln Strategien, wie man die Digitalisierung in Bayern vorantreiben kann, und übernehmen die Koordinierung.“

Die Einführung der digitalen Verwaltung ist ein solches Projekt: Bürger sollen ihre Behördengänge in Zukunft bequem online abwickeln können. Um dies zu erreichen, holte Judith Gerlach verschiedene Ministerien an einen Tisch. „Das Digitalministerium arbeitet oft bereichsübergreifend. Bei uns laufen die Fäden zusammen, in allen Fragen, die die Digitalisierung betreffen“, erklärt Judith Gerlach. Als Beispiel nennt sie eine IT-Notfall-Hotline für Bürger, die sie in Zusammenarbeit mit dem Innenministerium und Staatsminister Joachim Hermann initiiert hat. Diese Hotline unterstützt Bürger, die Opfer von Cyberkriminalität geworden sind. 

Die Digitalisierung spielt in zahlreichen Lebensbereichen eine große Rolle, beispielsweise in der Medizin, Bildung oder Landwirtschaft. Deswegen sei es so wichtig, dass Bayern hier weiter in der Spitze agiert. „Die Infrastruktur muss besser werden, sonst verspielen wir Bayerns Erfolgschancen“, stellt Judith Gerlach fest. Wichtig sei es, jetzt die für den Digitalausbau notwendigen Richtlinien zu erlassen und zu investieren. „Wir haben in Bayern beste Voraussetzungen dafür, ein digitaler Spitzenstandort zu werden“, so die Ministerin. „Seit der Gründung des bayerischen Digitalministeriums haben wir beim Thema Digitalisierung den Fuß auf dem Gas.“ Ein erklärtes Ziel ist auch, Forschung, Politik und Wirtschaft besser zu vernetzen, um Projekte gemeinschaftlich auf den Weg zu bringen.

Die Vernetzung ist auch Prof. Dr. Claudia Linnhoff-Popien ein Anliegen. Die Wissenschaftlerin hat seit 2003 den Lehrstuhl für Mobile und Verteilte Systeme am Institut für Informatik an der LMU München inne. Dem Peutinger-Collegium stellte sie zwei ihrer Forschungsgebiete vor: Maschinelles Lernen und Quantencomputing.

Zu Beginn macht Claudia Linnhoff-Popien deutlich: „Deutschland ist durchaus ein Standort für starke, digital orientierte Unternehmen – auch wenn bei diesem Thema erst einmal jeder an das Silicon Valley denkt.“ Beispielhaft nannte sie die im TecDAX notierten Unternehmen Isra Vision AG, Nemetschek SE oder SAP. Themen, die an der Uni erforscht werden, könnten unmittelbar wirtschaftliche Chancen darstellen. Als Beispiel hierfür führt sie die Gründung und den späteren Verkauf der Aloqa GmbH an: Als Start-up aus der Uni heraus gegründet, wurde Aloqa 2010 für einen größeren zweistelligen Millionenbetrag an Motorola verkauft. Claudia Linnhoff-Popien geht daher auch der Frage nach: „Wie können wir Wissenschaftler, Studenten und Professoren mit unserem Wissen und unserer Forschung die Unternehmen in Deutschland unterstützen?“

Das Maschinelle Lernen ist ein solcher Bereich, der sich laut Claudia Linnhoff-Popien schon in zwei bis drei Jahren in der Industrie durchsetzen wird: Einem Rechner wird Wissen antrainiert, indem man ihn mit circa 30 Mio. Beispielen füttert. Aus der Erfahrung dieser Beispiele generiert der Rechner nach einigen Monaten ein Modell, auf dessen Grundlage er folgerichtige Schlüsse ziehen kann. Eingesetzt haben Claudia Linnhoff-Popien und ihr Team diese Methode im vergangenen Jahr zusammen mit den Stadtwerken München: Um die Wasserleitungen in München auf Lecks zu überprüfen, horchte das Fachpersonal bisher mit einer Art Stethoskop an jedem einzelnen Hydranten. Lecke Wasserleitungen weisen ein spezielles Geräuschbild auf, das jetzt – dank KI –  mit Hilfe von Sensoren aufgezeichnet wird, um anschließend anhand der Geräuschdaten einen Rechner zu trainieren. Dieser kann jetzt auf Basis der Audio-Frequenz-Spektren entscheiden, ob ein Rohr defekt ist. Die Prüfung der Wasserleitungen wurde hierdurch deutlich vereinfacht.

Ein weiteres Thema, mit dem sich Claudia Linnhoff-Popien und ihr Team beschäftigen, ist das Quantencomputing. Hierbei handelt es sich um Prozessoren, deren Funktionsweise auf der Quantenmechanik basiert. Schon in fünf bis zehn Jahren sollen diese weitestgehend einsatzbereit sein. Davon könnte laut Claudia Linnhoff-Popien beispielsweise auch der Flughafen München profitieren: Welches Flugzeug zu welcher Zeit an welchem der über 70 Gates abgefertigt wird, berechnen derzeit zwei Rechenzentren. „Mithilfe eines Quantencomputers können in Zukunft die kurzfristigen Änderungen in Echtzeit berechnet werden“, so Claudia Linnhoff-Popien. Die Arbeit von zwei redundanten Rechenzentren könne bald ein Rechner übernehmen. Berechnungen, für die ein Ein-Kern-CPU aktuell 10.000 Jahre benötigt, werden vom Quantencomputer in weniger als 10 Sekunden erledigt.

Voraussetzung für den Einsatz der neuen Technologien ist eine funktionierende Infrastruktur. Ähnlich wie zuvor Staatsministerin Judith Gerlach kommt Claudia Linnhoff-Popien in diesem Punkt zu dem Schluss: „Wir haben bereits eine relativ gute Netzabdeckung, doch wenn wir beispielsweise an das autonome Fahren denken, brauchen wir eine wirklich lückenlose Abdeckung.“ Solange sich die Infrastruktur im Ausbau befinde, könne die Wissenschaft jedoch schon an den entsprechenden Technologien forschen.

Zu diesem Zweck hat der Lehrstuhl von Claudia Linnhoff-Popien auch das Quantum Applications and Research Laboratory, kurz QAR-Lab, eingerichtet. Es bietet Unternehmen die Möglichkeit, bereits heute konkrete Probleme auf einem Quantencomputer zu berechnen. Hierfür greifen Claudia Linnhoff-Popien und ihr Team über die Cloud auf einen Quantencomputer in Kanada zu. So verhilft die Uni den Unternehmen dazu, Lösungen zu finden, die nur mithilfe des Quantencomputings berechnet werden können. Gleichzeitig werden die Studenten auf die Zukunft vorbereitet. Hier zeigt sich, wie Zusammenarbeit von Forschung und Wirtschaft funktionieren kann.

Die Vernetzung ist auch ein Ziel des Vereins „Digitale Stadt München e.V.“. 122 Mitglieder (darunter auch Commax Consulting) haben sich diesem Netzwerk inzwischen angeschlossen, um gemeinsam an zukunftsweisenden Themen zu arbeiten. Laut Claudia Linnhoff-Popien, Vorstandsvorsitzende der Initiative, bietet sich gerade die bayerische Hauptstadt dafür an: „München hat einen Standortvorteil: Alle großen amerikanischen Firmen sind hier vertreten. Das bietet viele Möglichkeiten, Ideen auszuprobieren und diese später von München aus zu exportieren“, erklärt sie.

Im Anschluss an die beiden Vorträge findet die Experten-Diskussion, moderiert von Christian Geissler, statt. Auch für Fragen aus dem Collegium ist Gelegenheit, bevor der Präsident des Peutinger-Collegiums den offiziellen Teil des Abends mit dem Dank an die beiden Referentinnen und an den großzügigen Gastgeber, das Westin Grand München, beschliesst.